Jüdisches Berlin I

Öffentliche Stadtführungen

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(Angaben ohne Gewähr)

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Interreligiöse Stadtführungen in Berlin

Individuelle Stadtführungen nach Maß

In der Berliner Geschichte erwies sich die christlich-geprägte Mehrheitsgesellschaft gegenüber Juden oft als wenig tolerant und nächstenliebend. Wie lebt es sich hier als Jude und als Minderheit? Wie lebt man als Jude hier seine Kultur, wie sieht die Kultur überhaupt aus? Der Glaube ist ein sehr intimer Teil in der Persönlichkeit eines jeden Menschen. Berlin bietet die einzigartige Möglichkeit, verschiedene religiöse Richtungen kennenzulernen und ihre unterschiedlichen Ausprägungen. Lernen wir gemeinsam die Menschen hinter den Religionen kennen, wie und warum sie so glauben und denken.

Der Stadtnavigator Berlin arbeitet für Sie individuell Stadtführungen nach Ihren Themen aus. Der Preis variiert natürlich durch den benötigten Arbeitsaufwand. Fragen Sie unverbindlich nach. Nutzen Sie einfach dafür das Kontaktformular oder schreiben Sie an Info@Stadtnavigator-Berlin.de.

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Worms, Jüdischer Friedhof „Heiliger Sand“, seit dem 11. Jh.?

Worms, Jüdischer Friedhof „Heiliger Sand“, seit dem 11. Jh.?

Das Mittelalter

Im Mittelalter wurde der Fernhandel vor allem von jüdischen und daneben auch von arabischen bzw. muslimischen Kaufleuten getragen. Zum Einen waren sie von ihrer Bildung her den meisten Christen überlegen, von denen viele nicht lesen und schreiben konnten. Wie vorher im Römischen Reich wurde Bildung im Christentum nicht sehr hoch bewertet. Zudem verwendeten die jüdischen Kaufleute bereits früh die indisch-arabischen Ziffern mit einem Dezimalsystem, die den wesentlich schwerfälligeren römischen Zahlen weit überlegen waren.

In Südeuropa hatte sich im Mittelalter die Lingua franca (lat.: fränkische Sprache; heute generell im Sinne von „Verkehrssprache“ verwendet.) als Handelssprache vor allem unter den christlichen Fernhandelskaufleuten entwickelt. Das Pidgin-Romanisch funktionierte im gesamten Mittelmeerraum. Nach und nach verbreitete sich die Lingua franca dann zunächst in West-, danach allmählich im gesamten christlichen Europa. Jedoch der Handel im slawischen Raum oder sogar in Asien stellte an die Kaufleute ganz andere Ansprüche. Dort verstand man die Lingua franca nicht.

Speyer, Judenhof, Mikwe (datiert 1126)

Speyer, Judenhof, Mikwe (datiert 1126)

Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands ist die dauerhafte Ansiedlung von Juden seit dem 10. Jahrhundert dokumentiert. Anzunehmen ist eine Ansiedlung von Juden bereits zuerst auf römischen Gebiet zusammen mit der Ansiedlung römischer Legionen im heutigen Deutschland und schließlich entlang der Römer- und Handelsstraßen in Richtung Osten. Nicht nur am Rhein entstanden blühende jüdische Gemeinden. Hier sind die Städte Speyer, Worms und Mainz zu erwähnen, die in der Zeit wichtige geistige Zentren von internationalem Rang waren – die so genannten Schum-Städte, benannt nach den hebräischen Anfangsbuchstaben ihrer Schreibung. Im Jahre 1096 zerstörten durchziehende Kreuzfahrer die rheinischen jüdischen Gemeinden und ermordeten Tausende Menschen. Überall auf ihrem Weg in Richtung Donau und zum Balkan kam es zu Judenverfolgungen und Zwangstaufen.

Erfurt, Alte Synagoge (älteste Bauteile 11. Jh.)

Erfurt, Alte Synagoge (älteste Bauteile 11. Jh.)

Durch die Diaspora (griech: Verstreuung) war die jüdische Glaubensgemeinschaft im 10. Jahrhundert bereits über die gesamte bekannte Welt verbreitet. Bis nach China gab es jüdische Gemeinden in den Marktorten entlang der Fernhandelsstraßen. Untereinander konnte man sich gut auf Hebräisch verständigen. Jüdische Kaufleute waren die Fernhandelsspezialisten des Mittelalters in Europa, in Asien und im gesamten arabischen Raum. In den von den askanischen Markgrafen neu entstandenen Brandenburgischen Marktorten ließen sich von Anfang an Juden vor allem als Kaufleute nieder und als Ärzte. Es ist wahrscheinlich, dass sie sich schon vor der Kolonisation entlang der Fernhandelsstraßen Juden in den slawischen Gebieten des späteren Brandenburgs aufhielten. Hacksilberfunde entlang der Handelswege weisen darauf hin. Im späteren Mittelalter entwickelte sich vor allem die jiddische Sprache zur allgemeinen Verkehrs- und Handelssprache unter Juden.

Bamberg, Dom, Ecclesia und Synagoga

Bamberg, Dom, Ecclesia und Synagoga

Ecclesia und Synagoga, Judensäue

Papst Innozenz III. hatte bereits 1205 die „ewige Knechtschaft“ der Juden erklärt. Sie wurden Christen sozial und rechtlich unterstellt. Auch die Beschlüsse der römischen Laterankonzile von 1179 und 1215 zielten direkt darauf ab, die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung zu verschärfen. Ihnen wurde der Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt, und sie mussten durch ihre Kleidung fortan als „Juden“ erkennbar sein. Sie besaßen im Gegensatz zu ihren christlichen Nachbarn nur eingeschränkte Rechte, die ihnen andererseits allerdings auch eine gewisse Autonomie gewährten. Es wurden besondere Gesetze erlassen, die Juden außerhalb der Gesellschaft stellten und die jederzeit widerrufen werden konnten. Die weiteren Schritte zur Ächtung, zu Pogromen, zum Mord und zur Vertreibung waren kurz. So behielten die Landesherren sie unter Kontrolle, und man benutzte sie durch immer weiter aufgestockte, zusätzliche Abgaben als eine willkommene Einnahmequelle. Oft mussten  jüdische Kaufleute an die Herrschenden erhebliche Schutzgelder bezahlen. Zum anderen missbilligte das Christentum das Anhäufen von Reichtum, außer beim Adel. Das machte Juden nicht nur wegen ihres Glaubens in der restlichen Bevölkerung als Händler suspekt. Sie wurden beneidet und ausgegrenzt.

Brandenburg/Havel, Dom St. Peter und Paul, Judensau, 13. Jh.

Brandenburg/Havel, Dom St. Peter und Paul, Judensau, 13. Jh.

Als Allegorie der „ewigen Knechtschaft“ tauchten in mittelalterlichen Kathedralen die Personifikationen von Kirche (Ecclesia) und Synagoge (Synagoga) in Form von zwei sich gegenüberstehenden Frauen auf: Ecclesia oft mit Kreuz und Krone triumphierend, Synagoga mit verbundenen Augen (Nichterkennen der kirchlichen „Wahrheit“), zerbrochener Lanze als Typus und Antitypus. Es gibt Anhaltspunkte für die Vermutung, dass die herrschende Kirche Ecclesia und Synagoga vor allem in Städten mit relativ starken jüdischen Gemeinden darstellte.  Daneben ist auch die Darstellung der „Judensau“ seit dem 13. Jahrhundert selbst in bürgerlichen Stadtkirchen belegt. Neben der neutestamentarischen Allegorie „Perlen vor die Säue werfen“, dürfte auch die Vorstellung vom Schwein als unreines Tier eine Rolle gespielt haben. In den christlichen Verschwörungstheorien wurde die jüdische Bevölkerung nun für Naturkatastrophen und Krankheiten verantwortlich gemacht; man hängte ihnen rituelle Morde und Kindesentführungen an.

Als vermehrt christliche Kaufleute auftraten, wurden Juden im Europa als Konkurrenten betrachtet. Das heißt, je mächtiger und einflussreicher die christlichen Kaufleute und ihre Organisationen (Gilden, später die Hanse) wurden, desto schlechter war es mit der Sicherheit der jüdischen Bevölkerung bestellt. In der Mitte des 14. Jahrhunderts setzte eine europaweite Judenverfolgung ein, die im engen Zusammenhang mit der ersten Pestwelle stand, die sich von Südeuropa aus auf dem gesamten Kontinent ausbreitete. Gerüchte über Brunnenvergiftung und Ähnliches wurden verbreitet, mittels dessen die Juden die Christen auszurotten versuchen würden. Auch in Spandau wurde in der Mitte des 14. Jahrhunderts die jüdische Bevölkerung ermordet oder vertrieben. Der jüdische Friedhof wurde zerstört, die Grabsteine im Bereich der Spandauer Zitadelle zum Teil verbaut.

Neuanfang

Der Neuanfang der jüdischen Bevölkerung ist kaum erforscht. Man weiß nur, dass sich mit der Zeit vor allem jüdische Kaufleute wieder ansiedelten.

Auch in Berlin stellten reiche Kaufmannsfamilien – wie die Familie Blankenfelde –  über Generationen hinweg immer wieder den Bürgermeister und waren mit den Kurfürsten eng verbandelt. Sie vertraten allem voran ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und versuchten durch enge Kontakte zu den Landesherren Konkurrenten auszuschalten. Von den Landesherren wurden jüdische Kaufleute immer stärker in den riskanten Geldhandel gedrängt. Damit waren sie erpressbar. Landesherren zwangen sie nicht nur zur Falschmünzerei und gaben den „gierigen Juden“ hinterher die Schuld dafür, dass christliche Kaufleute durch das Falschgeld ihre Einnahmen verloren. Adel, Klerus und Bürger liehen sich immer höhere Geldbeträge, um ihren verschwenderischen Lebensstil zu finanzieren. Unter dem Vorwand gängiger Vorurteile: des Ritualmordes, des Kindesraubes oder oft unter der Anschuldigung angeblicher Hostienschändung wurden immer wieder Exempel an Juden statuiert. Die Schuldscheine wurden nach den Pogromen zerrissen, das Geld der ermordeten oder vertriebenen jüdischen Kaufleute selbstverständlich von den Landesherren und den Städten konfisziert.

Bln-Mitte, Grabstein für die 38 verbrannten Bln. Juden des Hostienschändungsprozesses.

Bln-Mitte, Grabstein für die 38 verbrannten Bln. Juden des Hostienschändungsprozesses.

Nach der Transsubstantiationslehre, die bereits 1215 auf dem IV. Laterankonzil zum Dogma erhoben worden war, verwandelten sich nach dem katholischen Glauben während der Messe Brot und Wein ganz wirklich in den Leib und das Blut Christi. Eine Hostienschändung (durch fünf Nadelstiche analog der fünf Wunden Christi, aber auch Verkauf, Zerbrechen oder nur Berührung der Hostie durch einen Nichtchristen, zum Beispiel einen Juden) wurde als reale Wiederholung des Martyriums Christi betrachtet. Die benötigten Geständnisse der Beschuldigten wurden unter der Folter erzwungen. Die angeblich Schuldigen wurden hingerichtet. Der Besitz der jüdischen Gemeinden wurde konfisziert und fiel den leeren Staatskassen zu. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam es auf diese Weise in vielen mitteleuropäischen Städten wegen angeblicher Hostienschändung zur Kriminalisierung der jüdischen Gemeinden und zu anschließenden umfassenden Vertreibungen.

1510 kam es schließlich in Berlin zu einem inszenierten Hostienschändungs-Schauprozess vor der Bürgerkirche Sankt Marien. Der christliche Hostiendieb gab unter der Folter an, an den Juden Salomon in Spandau eine Hostie verkauft zu haben, der sie mit anderen Juden zusammen dann geschändet haben sollte. Der Dieb und vierzig Juden wurden verurteilt und am damaligen Rabenstein in der Nähe des heutigen Strausberger Platzes hingerichtet. Es folgte die übliche Beschlagnahmung des gesamten jüdischen Besitzes und die Vertreibung der Juden aus der Mark Brandenburg. Erst 1539 gelang es Philipp Melanchton auf dem Fürstentag in Frankfurt am Main, den Kurfürsten von Brandenburg, Joachim II. Hector, davon zu überzeugen, dass die Aussagen des Diebes über die Juden nicht wahr wären. Dem Elsässer Josel von Rosheim, der als Wortführer der jüdischen Glaubensgemeinschaft auf dem Fürstentag anwesend war, gelang es schließlich, die Wiederansiedlung der Juden in der Mark Brandenburg zu erreichen. 1544 wurde das Edikt von Speyer erlassen, das die Aufenthalts- und Handlungsrechte für Juden neu regelte.

Neuanfang

1556 ernannte Joachim II. den aus Prag stammenden Lippold ben Chluchim für zehn Jahre zum Aufseher über die Juden in der Mark Brandenburg. Als Joachim II. im Jahre 1571 starb und sein Sohn Joachim Georg als Nachfolger das inzwischen hochverschuldete Brandenburg übernahm, ließ er Lippold verhaften und der Unterschlagung und Bereicherung beschuldigen. Nicht nur der brandenburgische Staat, sondern auch Adelige und Bürger versuchten auf diese Weise wieder einmal sich ihrer Schulden zu entledigen. Als das Gericht Lippold allerdings umfassend entlastete, ließ man Lippold unter der Folter „gestehen”  Zauberei betrieben und den verstorbenen Joachim II. vergiftet zu haben. Am 28. Januar 1573 wurde Lippold hingerichtet. Die Synagoge in der Klosterstraße wurde zerstört, Lippolds Vermögen und das der gesamten jüdischen Gemeinde wurden konfisziert, die Schuldscheine öffentlich verbrannt und die jüdische Bevölkerung diesmal für die nächsten einhundert Jahre aus der Mark Brandenburg vertrieben.

Neuanfang

Das 18. Jahrhundert

Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hatte in der Mark Brandenburg seine Spuren hinterlassen. Der in Osnabrück und Münster vereinbarte Religionsfrieden, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, berücksichtigte die Juden nicht.

Das Land war verwüstet, es gab kaum noch Bevölkerung in Brandenburg, viele Orte waren verlassen. Kurfürst Friedrich Wilhelm brauchte dringend Menschen, die das Land bewirtschafteten, Handwerker, Kaufleute und Steuerzahler. 1685 wurde das Edikt von Potsdam erlassen, das den unter König Ludwig XIV. in Frankreich vertriebenen Hugenotten  (→Französisches Berlin) in Brandenburg ein Aufenthaltsrecht garantierte. Den Hugenotten folgten Flamen und Böhmen.

Bereits in den Jahren 1670/71, unter Kaiser Leopold I., wurde die Jüdische Gemeinde aus Wien vertrieben. Wieder waren es wirtschaftlicher Neid und christlicher Aberglaube, die diesmal in Wien zur Vertreibung und Auflöschung der Gemeinde führten. Unter wesentlich schlechteren Bedingungen als die französischen Hugenotten wurde es 1671 fünfzig wohlhabenden jüdischen Familien erlaubt sich in Brandenburg als Händler niederzulassen. Allerdings wurde ihnen jeder Zugang zu den Zünften und Gilden verwehrt und auch der Bau einer Synagoge wurde verboten.

Am 10. September 1671 erhielten die ersten Familien einen Schutzbrief. Bis heute gilt das Datum als Gründungsdatum der Berliner Jüdischen Gemeinde. Jede Familie musste eine jährliche Schutzgebühr für ein vorläufiges Aufenthaltsrecht bezahlen. Selbst die Heiratserlaubnis war mit einer Steuer verbunden. 1714 wurde in der Heidereutergasse/Rosenstaße (Berlin-Mitte) die erste (Alte) Synagoge eingeweiht. Bis zum Nationalsozialismus gab es nun eine ständige  Jüdische Gemeinde in der Stadt.

Die vielgerühmte preußische Toleranz galt nicht für Juden. In erster Linie bestand das Interesse des preußischen Staates an den Juden in ihrer Steuerleistung. Das hatte sich seit dem Mittelalter nicht geändert. Juden hatten das Rosenthaler Tor als Zugang nach Berlin zu benutzen, das „Viehtor”, durch das die Berliner ihre Tiere zum Markt trieben. Einwandernde Juden mussten Vermögen nachweisen und konnten sich nur für eine Gebühr von 1000 Talern ein begrenztes Bleibe- und Handelsrecht erkaufen. Die Rechte der jüdischen Bevölkerung waren stark eingeschränkt. Zudem blieben sie von vielen Berufen ausgeschlossen.

Teile der jüdischen Bevölkerung integrierten sich vor allem über die aufgeklärten Hofjuden immer mehr in das Bürgertum. Nicht nur den berühmten Berliner Salons gaben sie wichtige Impulse. Moses Mendelssohn forderte jetzt ihre gesellschaftliche Gleichberechtigung, und er forderte andererseits die jüdische Bevölkerung auf Staatsbürger zu werden. Doch ausgerechnet der oft für seinen Aufklärungsgedanken gerühmte König Friedrich II. verhielt sich gegenüber der jüdischen Bevölkerung wenig aufklärerisch. Er weigerte sich prinzipiell Juden zu empfangen, und er verweigete Moses Mendelssohn die Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaft, weil er jüdischen Glaubens war.

Bln-Mitte, Gr. Hamburger Straße, Grabstein Moses Mendelssohn (Replik)

Bln-Mitte, Gr. Hamburger Straße, Grabstein Moses Mendelssohn (Replik)

Das 19. Jahrhundert

Im Zuge der Naopleonischen Eroberungen machte Preußen den Juden Versprechungen über ihre Gleichstellung. Denn nach der Französischen Revolution hatte die Französische Nationalversammlung bereits 1791 die Gleichberechtigung aller französischen Juden verkündet. In den unter Napoleon eroberten deutschen Gebieten wurden die Juden daher vorbehaltlos emanzipiert. Mit dem Sieg über Napoleon war die Gleichberechtigung wieder abgeschafft.

Erst mit dem „Judenedikt” von 1812, der letzten von Hardenberg eingeführten Reformen, wurden Juden überhaupt erst zu Staatsbürgern. Sie mussten sich verpflichten, im Wirtschaftsleben die deutsche oder eine andere lebendige Sprache zu verwenden und durften Unterschriften nicht in mehr in hebräischer, sondern nur in deutscher (Kanzlei- oder Kurrentschrift) oder lateinischer Schrift leisten. Allerdings galt das Edikt nicht in den neuen, vor allem ost-preußischen Landesteilen, sondern nur im Altland. „Fremde” Juden, auch die aus den östlichen Provinzen, brauchten eine besondere Genehmigung, um sich in Preußen niederlassen zu dürfen.

Der alten Ständegesellschaft und dem verbreiteten, religiös begründeten Antijudaismus folgte im 19. Jahrhundert der Antisemitismus: Eine angebliche körperliche, „rassische” Andersartigkeit und ein immer wieder neu beschworenes gesellschaftliches Misstrauen waren in Europa die modernen Vorwände für die Ausgrenzung. Die „Hakennase” wurde im 19. Jahrhundert zuerst in Pariser Karikaturen populär und fand schnell auch ihren Weg nach Berlin. Luthers antijudaistische Schriften (u.a. „Von den Juden und ihren Lügen”, 1542) erlebten eine Renaissance. Im Bürgertum betrachtete man den modernen Antisemitismus vor allem als ein Vorurteil. Andererseits erwartete man von der jüdischen Glaubensgemeinschaft Zurückhaltung in der christlichen Gesellschaft. Die Synagogen, die nun gebaut wurden, wurden auch zum Schutz der Gläubigen vor antisemitischen Pöbeleien hinter Vorderhäusern in den Hinterhöfen versteckt.

Nach der Ermordung des russischen Zaren Alexander II. im Jahre 1881 hatte sein Nachfolger, Alexander III., das Attentat den Juden zugeschoben. Schnell wurde „jüdische Ausbeutung” als Hauptursache für die Unterdrückung in Russland verantwortlich gemacht. Die Regierung verbreitete ihrerseits antisemitische Propaganda und machte die jüdische Bevölkerung zu Sündenböcken ihrer eigenen Politik und zum Ventil für die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Das löste zwischen 1881 und 1884 eine Serie von antijüdischen Pogromen aus, die auch auf den polnischen Raum übergriffen. Der Zar verfügte zahlreiche Restriktionen gegen Juden – wie die Maigesetze von 1882. Die nächste Serie von Pogromen folgte zwischen 1903 und 1906. Diese antijüdische Politik wurde unter dem Nachfolger, Zar Nikolaus II., weiter fortgeführt.

1897 wurde auf dem ersten Zionistenkongress in Basel von Theodor Herzl die Forderung nach einer „öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstädte für das jüdische Volk in Palästina“ erhoben.

Etwa 60 000 Osteuropäer wanderten bis zum Ersten Weltkrieg nach Palästina aus, etwa 2 Millionen in die Vereinigten Staaten. Manche blieben auf ihrem Weg von Osteuropa zu den Überseehäfen Bremen und Hamburg in Deutschland, das sich gerade zu einem führenden Industriestaat entwickelte. Vor allem das boomende Berlin übte eine große Anziehungskraft aus. So stieg die jüdische Bevölkerung in der deutschen Hauptstadt in dieser Zeit von knapp 28 000 (1867) auf über 108 000 im Jahre 1900, auf gerade einmal etwa 4 Prozent der ständig wachsenden Berliner Gesamtbevölkerung. Viele Juden kamen zunächst zusammen mit anderen Polen im Rahmen der Binnenwanderung  aus den ost-preußischen Provinzen. Mit den Pogromen in Russland wanderte um die Jahrhundertwende eine größere Zahl ost-polnischer, litauischer und russischer Juden ein – damit auch nach Berlin, das sich inzwischen zum größten Industriestandort in Europa entwickelte. Von der Jüdischen Gemeinde wurde der Zuzug der so genannten „Kaftanjuden“ mit Sorge betrachtet. Zum einen führte die starke Zuwanderung zu ganz normalen Konflikten. Zudem stießen Vorstellungswelten zusammen.  Das Berliner Judentum betrachtete sich als assimiliert und wurde nun konfrontiert mit einer als rückständig betrachteten, osteuropäischen jüdischen Glaubenswelt, die exotisch wirken musste. Zum Anderen wurde befürchtet, dass der in der Bevölkerung sowieso schon schwelende Antisemitismus durch die Zuwandernden noch angeheizt werden würde.

(weiterlesen in Jüdisches Berlin II)

Berlin-Mitte, Neue Synagoge

Berlin-Mitte, Neue Synagoge

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